Als Teenie war ich für mehrere Wochen Gast einer Familie in der Provence. Eines Abends kamen zu den sechs Familienmitgliedern noch zahlreiche weitere Verwandte und nach einem köstlichen Abendessen wurde ich freundlich gemustert: “Was ist für dich in Frankreich anders?”

Schallendes Gelächter

Mich hatte vor allem die Begrüßung mit Wangenkuss beeindruckt, im Süden bis zu viermal. Also kramte ich aus meinem schnöden Schulfranzösisch “baiser” für küssen und rief: “Les Français baisent toujours.” (Die Franzosen küssen immer.). Für eine Sekunde herrschte betretenes Schweigen, dann brachen alle in so schallendes Gelächter aus, dass sie sich die Tränen aus den Gesichtern wischen mussten.

Ich schaute wohl recht verdutzt drein, bis man mir den Grund für die große Heiterkeit erklärte: Im Alltag nennt man die innige Begrüßung “embrasser” (“umarmen”), hingegen war “baiser” mittlerweile Jargon für “ficken” oder “vögeln”. Ob das meine Französischlehrerin gewusst hätte?

Alternativloses Wahrheitsverständnis

Nicht minder erheiternd ist die Annahme, unser Verständnis von “Wahrheit” wäre in allen Kulturen dasselbe. So, als gäbe es zu unserem Verständnis, das ja aus dem Kontext griechischer Philosophie entsprungen ist, gar keine Alternative. Aber da täuschen wir uns sehr.

Hebräisches Denken und die zugrundeliegende Sprache sind nicht nur viel älter, sie sind vor allem anders gestrickt. Und entsprechend unfreiwillig komisch kann es werden, wenn wir Europäer auf den hebräischen Wahrheitsbegriff stoßen. Zum Beispiel wo Jesus sagt:

“Ich bin die Wahrheit.” (Joh 14,6)

Klingt in unserer Kultur ungeheuerlich, intolerant, anmaßend, nicht wahr? Da huschen die Schatten von Kreuzzügen und Inquisition über die Wand…

Griechisches versus hebräisches Denken

Hebräisches Denken und die Wahrheit

Was ist nun die Pointe? Im Griechischen steht für Wahrheit das Wort „aletheia“. D.h. so viel wie unverborgene Wirklichkeit, die sich durch Wahrnehmung und Erkenntnis als wahr i.S.v. richtig, zutreffend erweist. Einen Griechen interessiert, was ist.

Das hebräische oder aramäische Wort für Wahrheit kennen wir: Amen. Genauer: „aman“, was die Grundbedeutung von „fest, zuverlässig, tragfähig, relevant sein“ hat. Aman bezeichnet keinen abstrakten Sachverhalt, sondern ein erlebbares, menschliches oder auch göttliches Verhalten gegenüber anderen, verweist also auf Beziehung, deren Zuverlässigkeit und Treue. So wie wir “ein wahrer Freund” sagen und damit seine Treue meinen.

Wahrheit in Beziehung

Hebräisches Denken interessiert also, wie etwas ist. Wenn Jesus sich zur Wahrheit ausruft, dann lädt er ein zur Beziehung, zur Freundschaft, zur Begegnung mit der verlässlichen, festen, treuen, relevanten Wahrheit seiner Person, seiner Botschaft und Zusagen. In bzw. zu ihm soll der Mensch seine besondere Würde, die Gottesbezogenheit (also Beziehung!) finden. Denn Jesus versteht sich als Fels, als die existenzielle Grundlage menschlicher Lebensentwürfe und ihrer Vollzüge.

Hebräisches Denken vermag viele Spannungen in der Bibel aufzulösen. Die Denkweise mal umzustellen befreit wie ein herzhaftes Lachen.

Titelfoto: Crushpixel

Mehr am “Abend der Reinheit” mit der Frage: “Was wollte Jesus wirklich?”

Was wollte Jesus wirklich?

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