Genau genommen kann man sich nicht entschuldigen. Nichtsdestotrotz kam aus den Medien frenetischer Beifall, einige Kommentatoren feierten es gar als ein “historisches” Ereignis: Die Bundeskanzlerin habe sich öffentlich entschuldigt. Wirklich? Wörtlich hat sie am 24.03.2021 gesagt:

“…und dafür (gemeint war ihre etwas impulsive Entscheidung zur coronabedingten Osterruhe) bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.”

Eine Bitte also. Um Verzeihung. Das ist ein himmelweiter Unterschied, wie wir gleich sehen werden.

Schuld als Beziehungsproblem

“Ich entschuldige mich.” – Ob aus tiefer Betroffenheit, aus echter Selbsterkenntnis oder nur als halbherzige Floskel: dieser Satz ist in jedem Falle grundfalsch, da unmöglich. Ich denke, dass der Pastorentochter Angela Merkel das bewusst war.

Schuld, also den Umstand von dem wir uns ent-schuld-igen möchten, gibt es immer nur bei einem Gegenüber, in Beziehung. So wie meine rechte Hand meiner linken nichts schenken kann, so kann ich mich auch nicht selbst entschuld(ig)en. Dazu braucht es immer die Zustimmung, die Bereitschaft des Gläubigers. Wer mal bei seiner Bank einen Kredit, eine Schuld vorfällig zu begleichen versuchte, weiß das. Die Bank lässt sich ihre Zustimmung in der Regel gut bezahlen.

Antrag und Annahme

Ich kann, ja ich muss also um Entschuldigung bitten. Die Auflösung eines Schuldverhältnisses braucht Antrag und Annahme. Jesus hatte diese Problematik klar vor Augen, als er uns mit dem Vaterunser-Gebet zur täglichen Erinnerung mitgab:

“Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir unseren Schuldigern vergeben.”

Erst indem ich die Bitte um Verzeihung annehme, also vergebe, wird das Schuldverhältnis aufgelöst. Und führt zurück in die Freiheit – und zwar beide Parteien! Also: Man kann sich nicht entschuldigen.

Idee der Selbstvergebung

Manche werden hier einwenden, es gebe da aber doch die Idee der Selbstvergebung. Sich selbst verzeihen. Gnade und Frieden mit sich finden. Ich meine, dass auch das bei genauer Betrachtung derselbe Trugschluss ist. Ich kann, auch wenn mir (falsche) Schuldgefühle es einreden, nicht an mir selbst schuldig werden, da ich mich nicht selbst in Existenz gerufen habe. Ich wurde geboren und ins Sein ge-setzt, also passiv. Ich habe mich nicht selbst verursacht. Dadurch gehöre ich mir nicht selbst. Und solange ich nicht “mein” Eigentümer bin, solange kann ich zu mir kein Schuldverhältnis begründen.

Verantwortlicher Selbstumgang

Dann kann ich mit mir umgehen wie ich will? Nun, die Antwort auf diese Frage hängt von meiner Weltanschauung ab. Wenn ich mich als evolutionären, zufälligen Zellhaufen betrachte, dann braucht mir mein Selbstumgang prinzipiell nicht viel Kopfzerbrechen zu bereiten. Aber wenn ich die Idee und der Wunsch eines liebenden Schöpfers bin, dem ich mein Sein verdanke (Dank ist die subtilere Form von Schulderkenntnis), dann sieht die Sache freilich anders aus.

Die christliche Sicht

Die christliche Sicht folgt der Unterscheidung von Eigentümer und Besitzer: nur einem Eigentümer gehört etwas, gleichwohl kann er es einem Dritten als Besitzer zur Nutzung überlassen. In diesem Sinne versteht die Bibel den Menschen als Besitzer einer von Gott geschenkten Seele und Lebenszeit. Unser Umgang mit beiden stellt uns durchaus in ein Schuldverhältnis zum Eigentümer, Gott.

Daher sollen wir liebevoll und pfleglich zu und mit uns sein. Denn nur aus so einem verantwortungsvollen Selbstumgang gewinnen wir Freiheit und kann echte Nächstenliebe rühren.

Foto: Isabella Giancarlo

Mehr am “Abend der Freiheit” mit der Frage: “Was ist ganze Freiheit?”

Was ist echte Freiheit?

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